Matsche

Eine unbestimmte, scheinbare, geisterhafte, mit nachträglichen Erzählungen
vermischte, vermatschte Erinnerung von dieser, eben so genannten, alten, großen,
grauen Person.
Aussah sie wie ein alter dicker, verstaubter Kleiderschrank, der irgendwo auf einem
Korridor stehen bleibt. Ein Wandschrank, in dem höchstens noch einige verlumpte
Lappen aufbewahrt werden. Sonst nur wurmstichige Bretter, und mit Reißzwecken
gehaltene Fetzen Schrankauslegepapiers.
Ach grauer, alter, verstaubter, verspinnter Wandschrank, der dastand und sich oft
steif und steil und geisterlich schleichend bewegte. Wie sah das von weitem aus?!
Wenn sie eine Kerze in der Hand hielt. Nachts. Sie ging, wenn sie ging, nur nachts.
Nur stets auf die gleiche Stelle. Sie hatte Durchfall. Viel zu viel Durchfall. Weil sie
Mehlsuppe liebte. Nichts anderes.
Entweder also sie ging mit der Kerze in der Hand. In einem langen, weiten weißen
Nachtgewand. Mit einem Schal über den Schultern. Mehreren Paar grauer
Soldatensocken an den Füßen. Oft auch einen dunklen Mantel oder eine Jacke noch
um die Schultern. Das Haar so grau, so dünn und offen. Vom Mittelscheitel hing es
herab. Sie roch nach Mehl und Durchfall. Sie roch und schlurfte und ihre Augen
waren eine trübe, rostige, graubraune Mehlsuppe.




Thomas Körner: Frühe Prosa © Acta litterarum 2011