Beide Mesdames Mandus

Die Tochter liebte ihre Mutter?
Ja!
Aber ihr wäre lieber noch, sie wäre tot gewesen?
Sie hätte dann ihre körperliche Bequemlichkeit gehabt. Dafür aber geistig etwas mehr von ihr.
Warum?
Weil, glaubte sie, wenn die Körperlichkeit hin ist, die Seele wieder mit Leben beginnt.
Denn sie wußte nicht, was ihre Mutter denkt?
Für die ist das doch nur ein Haufen Fleisch, der Dreck macht und Arbeit.
Aber wieso will sie nicht sterben?
Weil die Tochter nicht an das Grab der Mandusschen Seele wallfahrtet. Nie
wallfahrtete sie dorthin. Immer nur an das Grab des Körpers.
Aber wie der sterben sollte, wo er keine Seele mehr hatte, wenn diese gestorben war,
somit ein anderer Tod da war und der Körper denken mußte-?
Das schien ihr längst-?
Dafür sah die Alte selbst noch eine ganze Menge.
Was sie glaubte, war, daß sie im Himmel sei. Und da ihre Seele unsterblich ist,
glaubte Madame Mandus im Paradies zu sein.
Sie war im großen und ganzen auch relativ zufrieden damit.
Sie sah noch ihre Tochter, die ihr vor der Welt auch ein Engel schien.
Sie sah den Himmel mit Vögeln und den Kirchturmspitzen.
Sie sieht Straße und Leute, den lieben Gott, wie der auch immer von oben herab zu schauen pflegt.
Das Menschengewimmel. Den Krach.
Und sie hat ihren kleinen richtigen Paradiesvogel. Ein Wellensittich. Von dem
begreift sie durchaus, daß man ihn einsperrt, zu ihr, in den Käfig.
Beider Tagesablauf war der gewöhnlichste. Früh stand die Tochter sehr früh auf.
Wusch die Mutter. Kämmte sie. Legte sie wieder hin.Lüftete spät. Bereitete Essen.
Unterhielt sich. Ging einkaufen. Kochte weiter. Sie nähte. Sie zankte sich mit der
Alten. Jeden dritten Tag.
Wurde eine Spazierfahrt im Rollstuhl gemacht?
Abends. Später wieder genäht. Die Alte half ja auch beim Trennen der Nähte.
Dann gingen sie schlafen.
Aber dabei blieb es natürlich nicht. Es ging ihnen besser. Die Alte flog eines Tages
mit dem Rollstuhl durch drei Treppen und brach sich alle Knochen.
Die Tochter lachte sich einen Knilch an. Hatte mehrere Skandale im Haus. Weil sie
soff. Und sich darüber beschwerte, warum ihre Mutter nicht sterben wollte.
Die ganze Geschichte hatte einen Haken?
Da blieb sie hängen!




Thomas Körner: Frühe Prosa © Acta litterarum 2011