Langsam entsteht ein Kreuz. Es richtet sich auf. Es steht an ihrem Grab. Ein anonymes Kreuz. An Marianas Grab. Später kommen Blumen hinzu. Verstreute Kränze. Mit vielen Schleifen. Ein Grabstein. Eine Inschrift. Das Grab wird geöffnet. Der blühende Hügel geteilt. Der Sarg heraufgezogen. Der Sargdeckel wird abgenommen. Marianas Reste. Stoffetzen. Bänder. Knochen. Ein Teil von ihrem Haar. Werden zur Schau gestellt. Die Zuschauer bewegen sich. Sie ergreifen was sie sehen. Wie Trophäen. Wie Reliquien. Wie Fetische. Wie Idole. Staunend. Ehrfürchtig. Fromm. Sie bilden einen Zug. Mit geistlicher Liturgie. Monstranzen. Rosenblätter am Boden. Paradeschritt. Gewehre. Mit aufgepflanzten Bajonetten. Militär. Und Kleriker. Brüder. Mit Palmenwedel. Nonnen. Mit Kerzen. Die Prozession stockt aber. Vor Marianas Statue. Weil Federico sie mit seinem Körper verdeckt. Der Menge ihren Anblick verwehrend. Stimmung staut sich auf. Erregung braut sich zusammen. Wut bricht aus. Federico zu entfernen mißlingt. Es fällt ein Schuß. Umarmungen und Küsse. Die Statue wird hochgehoben. Über den Köpfen. Von Hand zu Hand. Wie ein Fußballpokal. Balgen. Und Prügeln. Um die Statue. Dröhnende Begeisterung. Wild. Trunken. Taumelnd. Die Statue wird schließlich zerschlagen. Um ihre Trümmer geht die Raserei noch mehr weiter. Über ihre Bruchstücke macht jeder sich her. Einzeln. In Gruppen. Obszön. Orgiastisch. Springend. Tanzend. Zurück bleiben der tote Dichter. Das offene Grab. Das Kreuz.

Solange der Schuß nicht gefallen ist, hat niemand einen Text, außer Federico.

Federico Alles Unendliche schämt sich

Dann aber werden sowohl von einzelnen als auch von der Menge folgende Sätze immer frenetischer wiederholt:

  Die Natur des Weibes ist die Kultur des Mannes
  Der Tod ist der Orgasmus des Lebens


Thomas Körner: M.P. oder Die Sucht der Liebe © Acta litterarum 2011