I

Michelangelo
Erwachender Sklave



Feierabend

...wie es dann soweit war, daß er und der Stein eins werden sollten, geschah diese Vereinigung eigentlich eher liebevoll und leicht. Sehr schmerzlos wuchs ihm die steinerne Endgültigkeit zugleich an Füßen, Hand und einem Arm. Sogar um den Bart ging der Stein ihm und umschlang mit einer gewissen Zartheit ihn fest, zog seinen Kopf zurück und hatte so noch lange ein Gesicht.
Und er schmiegte sich nicht weniger heiter an; einen Arm, solange er es noch war, bequem aufgestützt und so tief schon verwurzelt, daß er sich leisten konnte, in seinem steinernen Stand, geradezu vergnügt das rechte Bein über das linke zu schlagen, wie man es aus Übermut sonst tut oder im Schaukelstuhl. Darüber würde der Stein, hätte er es gekonnt, auch von sich aus gelächelt haben. So jedoch formte er sich wie eine Mulde oder ein Trog um ihn, und wölbte sich von allen Seiten schützend um ihn, und er sank natürlich dadurch immer tiefer in ihn hinein, und schmolz in ihn, wie kostbares Metall in einem glühenden Tiegel. Wohl hat es auch seit damals, bis auf den heutigen Tag, keine edlere Legierung gegeben, als die aus Mensch und Stein.
Zum Schluß war er ihm so eingebrannt, und der Stein so sehr durch seinen Abdruck geformt, daß ein Unterscheiden unmöglich war, und also auch eine Scheidung undenkbar geworden ist – seither. Nur manchmal glückt noch einem die Ahnung eines solchen Zusammenhangs, und der mag dann wohl einen Glanz bemerken, auf der Oberfläche nur ein dunkles schweres Ziehen empfinden, welches aufsteigt, tief aus dem Innern des Fels.



Thomas Körner: Betrachtungen © Acta litterarum 2011